(Richter, Chronica der freyen Bergstadt St. Annaberg, 1746, S. 248.) Auf dem Gottesacker zu Annaberg stehet eine große, schöne und mit Ästen stattlich ausgebreitete Linde, unter welcher der Rat und die Vornehmsten aus der Stadt auf Stühlen zu sitzen pflegen, wenn die Trinitatispredigt unter freiem Himmel jährlich zu Mittage gehalten wird.
Man hat die Tradition, dass diese Linde bei folgender Gelegenheit umgekehrt hierher gesetzt worden sei. Ein Marstaller allhier auf St. Annaberg habe einen ruchlosen Sohn gehabt, welcher sonderlich an keine Auferstehung habe glauben wollen, daher ein Priester sich alle Mühe gegeben, diesen bösen Menschen auf bessere Gedanken zu bringen. Derselbe sei mit dem ruchlosen jungen Burschen auf den Gottesacker gegangen und habe ihm daselbst vorgestellt, dass dieses das Feld des Herrn sei, wie der ausgestreute Same auf dem Felde aufginge und herfür wachse, so würden auch diese Begrabenen, so zu sagen, als ein Samen, wieder aus der Erde am jüngsten Tage herfür kommen. Darauf habe dieser junge Mensch eine noch kleine Linde auf dem Kirchhof erblicket, solche angesehen und zu dem Priester gesagt, so wenig als diese Linde, wenn man sie ausreißen und umgekehrt mit den Ästen in die Erde setzen wollte, ausschlagen würde, so wenig würden diejenigen, welche einmal tot wären, wiederum lebendig werden und auferstehn. Hierauf habe der Priester, in göttlichem Eifer entbrannt, geantwortet, er wüsste gewiss, Gott würde so gnädig sein, und um solche Ruchlosigkeit zu strafen, ein Zeichen seiner Allmacht sehen lassen, er wolle diese Linde umgekehrt lassen in die Erde setzen, und würde sie ausschlagen, so sollte er hiervon seinen bösen Unglauben kennen lernen, welches auch hernach also geschehen. Die der Frigg geheiligte Linde war Liebesbaum, welcher nicht bloß von Liebenden besucht, sondern auch als äußeres Zeichen der Liebe, welche über das Grab hinaus dauert, auf den Friedhöfen angepflanzt wurde. Außerdem galt sie unsern Vorfahren als Dingbaum, unter welchem Beratungen gehalten und Recht gesprochen wurde. Die Mitglieder des Annaberger Rats setzten sich zum Zeichen ihrer Würde und Gewalt auch während der Predigt im Freien unter den Lindenbaum. – An unsere Sage erinnert die von der großen Linde auf dem Nikolai-Kirchhof in Görlitz, insofern auch dieser Baum, verkehrt eingepflanzt und so noch fortgrünend, einen Glaubenssatz als Wahrheit bestätigte. Als nämlich zu Ende des 16. Jahrhunderts der in den Verdacht des Kalvinismus gekommene Pfarrer Martin Moller zu Görlitz sterben wollte, sagte er zu den Seinen: „Wenn ich werde gestorben sein, so pflanzt aus mein Grab eine junge Linde mit den Zweigen in die Erde. So gewiss diese Linde wachsen wird, so gewiss habe ich auch Gottes Wort rein und lauter gelehrt und gepredigt.“ Dieser sein letzter Wille geschah und was er gesagt hatte, traf ein, so dass alles sich hoch verwunderte und viele gläubig wurden. (Haupt, Sagenbuch der Lausitz, II. No. 125. 2.) |