223. Die Wehklage. E-Mail

(Lehmann, Hist. Schauplatz ec., S. 784. Gräße, Sagenschatz d. K. Sachsen, No. 568.)


Im Erzgebirge gibt es ein Gespenst, die sogenannte Klagefrau oder Klagemutter, diese geht vor das Haus, wo ein Kranker liegt und fängt an jämmerlich zu heulen. Will man nun wissen, ob derselbe stirbt oder nicht, so wirft man vor die Türe von oben ein Tuch herab, das demselben gehört, nimmt die Klagefrau, die nun zu heulen aufhört, dasselbe mit fort, so stirbt der Kranke, lässt sie es aber liegen, so findet das Gegenteil statt.

Im Jahre 1626, da ein großes Sterben war, wohnte Nikolaus Köhler, ein Schuster in Oberwiesenthal, am Markt. Da er sich abends zur Ruhe gelegt, höret er ein jämmerlich Geheule auf dem Markt, so dass er nicht schlafen kann. Er siehet hinaus und wird gewahr, dass es um den Holzstoß eines gegenüber wohnenden Nachbars so winselt und jammert. In dem Hause desselben aber lagen zwei Sterbend, wie er des folgenden Morgens allererst erfahren. Er spricht: „Ja heule, dass dir was anders in Rachen fahre!“ Und legt sich wieder nieder. Gleich kommt das Heulgespenst vor die Kammer und heulet noch grässlicher.

Er fähret ins Bett hinein mit Furcht und Grausen, und das Weib verweist ihm seine Verwegenheit, warum er bei elenden Sterbezeiten so frech hinaus geschrien, sie fangen an mit einander zu beten. Das Heulding fähret hinauf auf den Oberboden, und von dannen zum Fenster in das Quergässchen herunter, und heulet wieder aufs neue vor des Büttels Tür, und des Morgens erfuhr er, dass auch darinnen ein Patient am Tode läge. Der Schuhmacher aber hat noch über 30 Jahre gelebt und ist erst anno 1664 an der ungarischen Soldatenkrankheit gestorben.



 
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