411. Die Görkauer Maskenhochzeit. E-Mail

(Nach Franz Herbabny in den Mitteilungen des Nordböhm. Exkursions-Klubs, 1885, S. 117.)


Am Faschingsdienstage 1588 ging es in der Stadt Görkau überaus fröhlich zu, und die Schuljugend machte mit Schreien und Peitschen einen Spektakel, dass die Häuser in den Gassen wackelten. Der Hochzeitsplampatsch ritt auf einem Grauschimmel und trank wacker aus den Gläsern, womit man ihm schenkte. Auf dem Kopfe trug er eine Narrenkappe mit einer klingenden Schelle und überdies zwei Narrengesichter, von denen das vordere lachte, das hintere weinte. Bald kamen auch die beiden Herolde hoch zu Ross, bliesen auf ihren Trompeten, und der vielerwartete Hochzeits- Schlittenzug setzte sich in Bewegung. Es war nämlich eine Faschingshochzeit. Den Vorreitern und den Stadtpfeifern folgten die Brautleute mit dem Bilde der heiligen Jungfrau, darauf der Brautführer und die Kränzeljungfern, neben ihnen der heilige Nikolaus mit zwei Teufeln an der Kette, und auch die Salzmäste warf nach allen Seiten Pfeffernüsschen aus. So folgte Schlitten auf Schlitten, vierzig an der Zahl. Und nun ging es in tollem Jagen, die Kreuz und die Quere, durch die Stadt, bis der Zug neben der Kirche ein wenig stockte. Da blies der Hanswurstplampatsch

auf seiner Trompete und rief in trunkenem Frevelmute durch das offene Tor zum Kirchhof hinein: „Auf, auf! Ihr Faulpelze! Heraus aus Euren Nestern! Heut ist Fasching! In der Stadt gibt es noch Besen genug, die nehmet zwischen die Beine und reitet mit! Hollah! Vorwärts!“ Gelächter der Umstehenden folgte, und der Trunkenbold stürzte vom Pferde, aber der Zug fuhr weiter, immer bis nach Komotau, obwohl ein Sturmwind unterwegs das Brautpaar und die Salzmäste und viele andere in den Schnee geworfen hatte. In Komotau trank man Glühwein, und die Heiterkeit wuchs, wenn dies noch möglich war.

Allein als man zum Tore hinausfuhr, da hatte sich zu den drei Vorreitern noch ein vierter gesellt, einer aus Komotau, wie man wähnte. Doch seine Tracht war seltsam. Kohlschwarz vom Kopfe bis zu den Sporen, schwenkte er ein schwarzes Banner mit dem Bilde des Sensenmannes. Vielen aber war es recht unheimlich, wenn er rechts und links die Schlittenreihe auf- und absprengte und gewissermaßen die Hochzeitsgäste zählte. Als es aber finster wurde, da sprühten sogar aus seiner Fahnenstange Funken und Flammen und die dampften und rochen wie Leichenfackeln. So ging es fort bis man wieder in Görkau vor den Kirchhof kam, da öffnete der Schwarze sein Visier, schlug den Plampatsch auf die Schulter und rief: „Nun kommt mit mir, wir zwei voran, die andern kommen nach!“ „Jesus, Marie!“ Schrie der Plampatsch, als er den fleischlosen Totenschädel erblickte. Jener aber rief mit weithallender Stimme: „Heute war ich Euer Gast, zur künftigen Fasching seid Ihr alle meine Gäste!“ Sprachs und verschwand in Nacht und Gekrach. Die Fackel war verloschen. - Auf dem Tanzboden fand sich allmählich die helle Faschingslust wieder ein. Als man aber am folgenden Tage nach altem Herkommen den Fasching begraben wollte, da erscholl das Zügenglöcklein, und man erfuhr, dass der Plampatsch todkrank darniederliege. Drei Tage später lag er auf dem Kirchhof bei den Toten, die er zur Maskenhochzeit eingeladen hatte. Ihm folgte zuerst die Braut und eine Kränzeljungfer, dann ein Vorreiter, der Brautführer und der Bräutigam. Selten verging ein Tag, an dem die Totenglocke nicht erscholl, und ein Leichenzug folgte dem anderen. So dauerte es mit geringen Pausen ein volles Jahr, und nicht weniger als 450 Personen unterlagen der schrecklichen Seuche. Am Faschingsonntage aber rief der Priester dem unglücklichen Volke zu: „Ja, Ihr sollt ausziehen, aber nicht in Larven und Maskeraden, sondern in Sack und Asche, in Buß- und Trauerkleidern!“ Und so geschah es. Am Faschingsdienstage, da zog jung und alt, Mann und Weib, hoch und niedrig, in Trauergewändern

und mit schwarzen Schärpen durch die Stadt zum Friedhofe hin. Und als man den heiligen Boden betrat, unter dem die Lieben ruhten, welche im letzten Jahre gestorben waren, da erscholl laute Klage und Wehegeschrei. In der Kirche aber las der Pfarrer ein Totenamt und vom Chor erklang das „Dies irae!“ Wie an einem Allerseelentage, doch von stund an erkrankte niemand mehr, und wer schon krank war, fand meistens Genesung. Acht Wochen später war die Seuche beendet, und der Pfarrer konnte am weißen Sonntage die Pestilenzpredigt halten. Die Erinnerung an jene schreckliche Zeit aber - so sagt der Chronist - lag den Görkauern noch lange in den Gebeinen, und sie haben durch manches Jahr keine Hochzeitsmaskerade mehr am Faschingsdienstage gehalten.



 
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