738. Burg Neustein bei Görkau. E-Mail

(Erzgebirgs-Zeitung, Komotau 1880. 1. Jahrg. S. 47.)


Es mochte um das 11. oder 12. Jahrhundert sein, als auf der Burg Neustein ein verwegener und berüchtigter Raubritter hauste. Derselbe hegte aus irgend einem Grunde einen unversöhnlichen Hass gegen den Grafen zu Rothenhaus. Da geschah es eines Tages, dass er demselben seinen erstgebornen Sohn in zartem Kindesalter samt der Wärterin raubte, und, um die Eltern irre zu führen, streute er die mit Blut getränkten Kleider des Kindes im Walde in der Nähe des Schlosses Rothenhaus aus, so dass der Graf glauben musste, ein wildes Tier

habe seinen Sohn zerrissen. Den Knaben aber ließ er als seinen eigenen Sohn erziehen und flößte ihm dabei tiefen Hass gegen das Grafengeschlecht in Rothenhaus ein. Bei einem Überfalle venezianischer Kaufleute geriet der Raubritter von Neustein mit dem Grafen von Rothenhaus, welcher zufällig an der Spitze seiner Leute an den Ort der Untat kam und die Bedrängten verteidigte, in Kampf und wurde dabei zum Tode verwundet. Nur mit Mühe entkam er auf seine Burg, wo er auf dem Sterbelager sich von seinem angeblichen Sohne einen Eid leisten ließ, dass derselbe an dem Grafen Rache nehmen wolle. Darauf starb er. Nach einiger Zeit gelang es dem nunmehrigen Herrn des Neusteins, die Tochter des Grafen von Rothenhaus zu rauben und durch einen geheimen unterirdischen Gang auf seine Burg zu führen, wo er sie gefangen hielt. Als er sie nun sogar zur Gemahlin begehrte, weigerte sich die Jungfrau standhaft, denn ihr Herz gehörte bereits einem andern.

Auf Schloss Rothenhaus war man durch das Verschwinden der Tochter des Hauses in nicht geringe Bestürzung geraten, denn man vermutete mit Recht einen frechen Raub. Der Graf entbot noch in derselben Nacht seine Mannen zu sich und zog mit ihnen am frühen Morgen gegen die Burgen Neosablitz und Wodehrad, die im Tale des Assigbaches lagen und deren damalige Herren sich nicht des besten Rufes erfreuten. Doch in keinem der beiden Schlösser war die Geraubte zu finden. Von dem Vorhandensein des Felsennestes Neustein aber wusste man nichts, denn dasselbe lag tief im Walde versteckt.

Unterdes hatte die gefangene Grafentochter einen Plan zu ihrer Rettung entworfen. Sie heuchelte dem Herrn von Neustein, sie sähe ein, dass ihr Sträuben vergeblich sei, und so habe sie sich entschlossen, die Seine zu werden, der Ritter möge ihr nur einige Tage Zeit lassen und ihr gestatten, dass sie eine Kirche besuche, damit sie Gott um Trost und Beistand anflehe. Nur ungern willigte der Ritter ein. So zog sie denn mit ihrer treuen Dienerin, die man ebenfalls in Rothenhaus geraubt hatte, und bewacht von einer Schar wilder Gesellen, nach Komotau, wo sich die nächste Kirche befand. Als sie daselbst dem Pfarrer beichtete, erkannte sie derselbe und er forderte sie auf, ihm ihren Aufenthaltsort anzugeben. Sie sogleich zu befreien, erschien ihm unmöglich, da die Kirche von den Bewaffneten umstellt worden war und die Leute im Orte noch schliefen, denn es war zu sehr früher Stunde. Die Jungfrau konnte dem Priester jedoch ihren Aufenthaltsort nicht angeben, da man sie mit verbundenen Augen aus dem Raubschlosse nach der Kirche gebracht hatte. Ratlos lief der Priester in die Sakristei und kam ebenso ratlos wieder zurück. Da bemerkte er plötzlich

ein altes Weib, das unvermerkt mit in die Kirche gekommen war. Er fragte die Alte, was sie wohl in ihrem Korbe habe. „Ein Säckchen mit Linsen“, entgegnete diese. „Weib,“ rief der Pfarrer, Ihr seid mir von Gott gesandt, überlasst mir die Linsen, sie sollen euch gut bezahlt werden!“ Das Weib war einverstanden, und der Priester händigte die Linsen seinem Beichtkinde ein mit der Weisung, auf dem Heimwege von Zeit zu Zeit heimlich einige Linsen fallen zu lassen, er werde dann dafür sorgen, dass ihr Aufenthaltsort entdeckt werde. Dann entließ er das Fräulein, welches nun mit seinen bewaffneten Begleitern wieder zu Pferde stieg und den Rückweg antrat. Der Geistliche aber gab einem zuverlässigen Manne den Auftrag, dem Zuge sofort unvermerkt zu folgen, hie und da am Boden zerstreute Linsen würden ihm im Walde den Weg zeigen. So wurde das Raubschloss entdeckt. Dem Grafen von Rothenhaus aber brachte man sofort die Nachricht hiervon, und noch an demselben Abende stand er mit seinen Mannen vor der Feste des Raubritters und verlangte die Auslieferung seiner Tochter. Diese erfolgte aber nicht, man rüstete sich vielmehr in der Burg zur Verteidigung. Nun umschlossen die von Rothenhaus die Burg und trafen Anstalten zum Sturme auf dieselbe. Am frühen Morgen des nächsten Tages begann man auch sofort den Angriff, und trotz der verzweifelten Gegenwehr der Belagerten hatten die Angreifer bald vom Bergrücken her den Wall und Graben überschritten und begannen die Mauern zu ersteigen. Da versuchte der jugendliche Ritter vom Neustein ein letztes Mittel, die Feinde vom weitern Vordringen abzuhalten. Er schleppte das geraubte Fräulein auf den Wartturm und drohte dasselbe in die Tiefe zu stürzen. Da trat aber die alte Wärterin heran, welche allein im Schlosse seine wahre Abkunft kannte, und teilte ihm mit, dass er eben im Begriffe stehe seine Schwester zu ermorden. Jetzt erfasste Verzweiflung den Ritter, er bestieg sein Pferd, ritt auf die Burgmauer, gab dem Tiere die Sporen und stürzte mit ihm in die gewaltige Tiefe. Die Felsenburg wurde nun vollends eingenommen und zerstört. Groß war aber die Trauer zu Rothenhaus, als man erfuhr, wer der gewesen, der die Tochter des Grafen geraubt hatte. Der Leichnam des Ritters wurde feierlich in der Familiengruft der Rothenhauser beigesetzt.



 
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